Treu und Glauben im Annahmeverzug

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Kolorierter Ausschnitt
François Berthoud’s bad girl, good girl, 2001

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19) entschied jüngst, der Arbeitgeber habe gegen einen Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge.

Teilweise wird in dieser Entscheidung eine überraschende Rechtsprechungsänderung gesehen. „dieDatenschützer Rhein Main“ betiteln das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gar mit „Datenschutz verkehrt ?!?“

Eine solche Dramatik entwickelt die Entscheidung indes nicht.

Schon früh in den Entscheidungsgründen findet sich ein Verweis auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1993, das bereits damals einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Verzugslohnansprüchen des Arbeitnehmers zum Gegenstand hatte (BAG Urteil vom 29.07.1993 – 2 AZR 110/93).

Das Bundesarbeitsgericht begründet und subsumiert in seiner jetzigen Entscheidung sehr ausführlich und gebetsmühlenartig die bereits seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Voraussetzungen, die geprüft und erfüllt sein müssen, bevor ein allgemeiner, aus § 242 BGB abgeleiteten Auskunftsanspruch im konkreten Einzelfall bejaht werden kann, nämlich:

  1. Das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung,
  2. ein dem Grunde nach feststehender oder zumindest wahrscheinlicher Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden,
  3. die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte,
  4. die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner und
  5. durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs dürfen die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BGH Urteil vom 17.April 2018 – XI ZR 446/16 – Rn.24).

Zurecht weist das Bundesarbeitsgericht darauf hin, der so verstandene Auskunftsanspruch dürfe inzwischen als Gewohnheitsrecht anerkannt sein.

Datenschutzrechtliche Probleme kann man in die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes nicht ernsthaft hinein interpretieren.

Nach der DSGVO ergibt sich die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der aus der Auskunft gewonnen Daten zum einen aus der Einwilligung des Arbeitnehmers gemäß Art. 6 Abs. 1 Lit. a) DSGVO, sofern er sie erteilt, sowie aus der Erforderlichkeit der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen gemäß Art. 6 Abs. 1 Lit. b) DSGVO. Denn der Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers beruht schließlich auf dem zwischen ihm und dem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag. Lediglich die Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich anderweitig erworbenen oder böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen zu lassen, ergibt sich aus § 11 KSchG. Überdies dürften Art. 6 Abs. 1 Lit c) und f) DSGVO als Rechtfertigungstatbestand eingreifen.

Das Bundesarbeitsgericht setzt sich darüber hinaus in seiner Begründung mit einer spezifischen datenschutzrechtlichen Problematik auseinander, und zwar im Rahmen der Prüfung der Voraussetzung Nummer 3 des Auskunftsanspruches. Es betont, der Arbeitgeber habe regelmäßig keine Kenntnis über anderweitige Verdienstmöglichkeiten des Arbeitnehmers und zur Gewinnung von Informationen sei eine Observation des Arbeitnehmers, z.B. durch einen Detektiv, datenschutzrechtlich grundsätzlich unzulässig.

Es kann also nicht zweifelhaft sein, dass eine direkte Anfrage eines Arbeitgebers bei seinem Vertragspartner die weniger gravierende Maßnahme ist, als Informationen über Dritte zu beziehen oder zu ermitteln.

Aus all dem folgt: Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers ist nicht neu. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht als datenschutzrechtlicher Sprengstoff im Sinne der Begehung von Untaten mit Bürgerdaten. Im Gegenteil.

Neu ist allenfalls die Erstreckung der Auskunft auf Vorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters. Dies begründet das Bundesarbeitsgericht mit der geänderten Gesetzeslage, insbesondere in Bezug auf die Norm § 2 Abs. 5 SGB III, die aber in ihrer jetzigen Fassung auch bereits älter als 8 Jahre ist.

Interessant ist indes der Hinweis des Senats, zur Durchsetzung des Auskunftsanspruches sei eine Klageerhebung nicht notwendig. Naheliegender und dem Grundsatz der Prozessbeschleunigung eher entsprechend sei es, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast (sekundäre Darlegungslast) zu integrieren.