Schatzräuber

„Was hast du in der Pandemie schätzen gelernt?“

So lautete die Überschrift eines Artikels, den ich neulich auf t3n.de las.

Für gewöhnlich äußere ich in diesem Block weniger persönliche Ansichten. Es ist aber eine außergewöhnliche Zeit. Es gibt für alles eine Zeit. Außergewöhnliche Zeiten sind gute Zeiten, um aus Gewohntem heraus zu treten.

Ausserdem ist die Frage, was man in dieser außergewöhnlichen Zeit schätzen gelernt hat, in vielerlei Hinsicht interessant. Jeder hat sie sich wahrscheinlich schon gestellt. Ich mir selber auch. Ohne sie jedoch konkret zu beantworten.

Der Artikel ließ unterschiedliche Menschen sehr konkret darüber zu Wort kommen, was sie schätzen lernten. Beim Lesen wurde mir klar, dass es nicht darum geht, ein, zwei, drei nette Dinge aufzuzählen. Das Wesen der Frage zielt auf etwas Grundlegendes ab.

Es ist ein Unterschied, eine Frage zu hören, sich ein paar Gedanken zu machen, um zurück zu kehren zu gewohntem Daily-Do, oder eine außergewöhnliche Antwort zu finden. Und sie zum Ausdruck zu bringen.

Als Jurist arbeitet man mit gewissen Techniken. Eine davon ist die Wortlautauslegung: Was ist ein Wort, was hat es zu bedeuten, was sind die Grenzen dessen, was man unter einem Wort verstehen kann? Die Frage „Was hast du schätzen gelernt?“ enthält zumindest zwei sehr inhaltsreiche Worte – abgesehen vom Fragezeichen.

Das eine ist „schätzen“. Wer oder was ist (d)ein Schatz? Was macht man mit Schätzen? Wie geht man damit um?

Das andere ist „lernen“. Lerne ich? Bin ich noch Schüler des Lebens oder doziere ich schon? Will ich lernen? Wer ist mein Lehrer?

Beide Wörter vereint – „schätzen lernen“ – eröffnen weitere Perspektiven, weisen bereits den Weg zu den Antworten.

Zwei Beispiele:

Neulich auf dem Weg zum Arbeitsgericht stieg ich aus der S-Bahn. Auf dem Bahnsteig alles in betriebsseliger Hektik. Alle eilten irgendwie irgendwohin. Nur eine Person nicht. Mir fiel eine Frau auf, die zur Treppe ging. Wie alle anderen auch. Aber in der Art ihres Ganges lag etwas Besonderes. Selten, vielleicht noch nie einen Menschen gesehen, der so ästhetisch, gleichsam gelassen einen Schritt vor den anderen zu setzen vermag. Als wäre jeder einzelne das Leben selbst. „Easy does it!“ wie der Amerikaner sagt. Diesen Spirit der Gelassenheit eines Fremden, vermittelt in einer sekundenkurzen Begegnung, nahm ich mit. Die anstehende Gerichtsverhandlung verlief ebenso entspannt: Ich einigte mich mit meinem Gegner auf dem Flur vor dem Gerichtssaal, bevor sie begann.

Ich las vor kurzem einen sehr schönen Satz auf dem Social Media Account eines Coaches: „I’m here to walk that path with you step by step.“ Der Weg ist lang. Keiner will hier alleine gehen und keiner ist allein. Wir gehen zusammen. Schritt für Schritt.